Zurück zum Abitur nach neun statt acht Jahren – das wünschen sich viele Eltern und Schüler in Baden-Württemberg, und zwar überall, nicht nur an den 43 Modellschulen des Landes. Während man in den östlichen Bundesländern, in Sachsen und Thüringen, am achtjährigen Zug zum Abitur festhält, sind zahlreiche andere Bundesländer bereits wieder zu G9 zurückgekehrt: Nordrhein-Westfahlen, Niedersachsen, Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein haben die Reduzierung der Schulzeit um ein Jahr zurückgenommen.
In Baden-Württemberg ist die Entscheidung für eine flächendeckende Wiedereinführung von G9 ein in der Öffentlichkeit vieldiskutiertes bildungspolitisches Thema. Hier setzt sich eine Elterninitiative schon länger für G9 ein und hat dazu bereits einen Antrag beim Landtag eingereicht.
Das Auguste-Pattberg-Gymnasium in Mosbach-Neckarelz gehört zu den ersten der 43 Modellgymnasien des Landes, denen vom Kultusministerium die Parallelführung von G8 und G9 genehmigt wurde. Im Schuljahr 2012/13 gingen hier fünf fünfte Klassen an den Start, ein Jahrgang, der 2021 erfolgreich das Abitur ablegte. Im APG verfügt man über viel Erfahrung mit den neunjährigen Zug zum Abitur, weshalb politische Vertreter der Landesregierung um einen Termin gebeten hatten und sich am 27. Januar einfanden, um sich vor Ort in Gesprächen mit verschiedenen Gremien zu informieren. Schulleitung, Verantwortliche für die verschiedenen pädagogischen Konzepte und – vor allem – Schülerinnen und Schüler der SMV standen Rede und Antwort und ermöglichten der Politik authentische Einblicke in den Schulalltag und die praktische Umsetzung des G9-Modells.
Stefan Fulst-Blei, Stellvertretender Vorsitzender der SPD im Landtag von Baden-Württemberg und deren bildungspolitischer Sprecher, Dr. Dorothee Schlegel, Vorsitzende der SPD im NOK, Heide Lochmann, Vorsitzende der Kreistagsfraktion der SPD, Nora Dreier, wissenschaftliche Assistentin und Referentin von Fulst-Blei im Landtag, und Markus Dosch, Ortsvereinsvorsitzender der SPD in Buchen, hatten sich aus ganz bestimmten Gründen für einen Besuch am APG entschieden: „Sie waren Initialzünder für G9“, begründete Fulst-Blei den Besuch. Die Politiker erhielten am APG Informationen aus erster Hand: Zusammen mit seinem Stellvertreter, StD German Miksch, stellte Schulleiter Dr. Thomas Pauer das Gymnasium vor und erläuterte die Grundkonzeption des G9-Modells am APG. „G8 und G9 liegt derselbe Bildungsplan zugrunde“, stellte er heraus. „Das zusätzliche Jahr erlaubt aber zusätzliche Schwerpunkte: Jeder Schüler hat bei uns zum Beispiel vier Stunden mehr Mathematik“, was ihn als Mathematiklehrer besonders freue. „Die zweite Fremdsprache beginnt erst in Klasse 7“, ein Umstand, der zum einen den geschmeidigeren Übergang von der Grundschule zum Gymnasium erlaube, zum anderen könne man auf diese Weise in der Unterstufe in allen beteiligten Fächern ein solides Fundament legen, wovon die Schüler in den späteren Jahrgängen profitierten.
Zahlreiche Mitglieder der SMV, Schülervertreter aller Altersgruppen am APG, ergänzten das Bild aus ihrer Perspektive: Auch sie sahen Vorteile in der Gestaltung des Übergangs, nannten die Rhythmisierung als wertvollen Baustein, der die vertiefte Beschäftigung mit spannenden Wissensgebieten ermögliche. „In der Grundschule galt ich immer als der Streber“, meinte ein Sechstklässler und berichtete selbstbewusst, dass er am APG nun Gleichgesinnte und Freunde gefunden habe, mit denen er seinen Wissensdurst teile. „Gerade für die Leistungsträger ist G9 ein echtes Angebot, weil es ihnen die gründliche Vertiefung ermöglich, die gymnasiale Bildung eigentlich ausmacht“, bestätigte StDin Claudia Schmidt die Worte des Sechstklässlers.
Weniger geballter Nachmittagsunterricht, entsprechend etwas mehr Spielraum für Vereinstätigkeit, Sport und musikalische Arbeitsgemeinschaften, Talentförderung von Anfang an, aber auch die nötige Reife für die Berufswahl waren Argumente der SMV-Mitglieder für G9. „Auch die Berufsorientierung an sich – im APG liegt BOGY in Klasse 11 – können wir in einem angemessenen Alter vornehmen“, meinten die Schüler. „Zu etlichen Praktika sind Schüler erst ab einem bestimmten Alter zugelassen“, erläuterten sie.
In die Einzelheiten des Unterstufenkonzepts am APG führte Unterstufenberaterin OStRin Katrin Lorenz ein: Dabei standen neben zahlreichen Bausteinen zum Übergang von der Grundschule zum Gymnasium die Rhythmisierung als Herzstück und Alleinstellungsmerkmal des APG im Vordergrund. Die Rhythmisierung ermöglicht es den Schülern, ihr Wissen frei von Notendruck zu ergänzen und zu vertiefen. Darüber hinaus bietet sie durch die Lions Quest-Stunde, in der das soziale Lernen im Mittelpunkt steht, die Chance, ein gelingendes soziales Miteinander zu schaffen, das sowohl für einen erfolgreichen Bildungsprozess als auch für die Persönlichkeitsentwicklung grundlegend ist.
Auf besonderes Interesse der Gäste stieß auch das Medienkonzept des APG, dessen Ziel es ist, die Schüler zu befähigen, sachgerecht, selbstbestimmt, verantwortungsbewusst und kreativ in der medial geprägten Lebenswelt zu agieren.
StD Andreas Link erklärte das Mittelstufenkonzept für die Klassenstufen 8 bis 10, in dessen Mittelpunkt das Mentorat steht, das eine individuelle Begleitung der Schüler in der Pubertät ermöglicht. Hierbei stehen vor allem die Stärken der Schüler im Vordergrund und deren weiterer Ausbau in den Folgejahren. Das Mentorat wird durch zusätzliche Bausteine im Rahmen von sozialen Projekten und Präventionsangeboten flankiert, wozu G9 den nötigen Spielraum lässt.
Neben umfassenden Informationen über das G9-Modell am APG nahmen die Gäste aus Stuttgart vor allem eines mit: die gemeinsame Begeisterung von Schülern und Lehrkräften und Schulleitung für den neunjährigen Zug zum Abitur.
Claudia Schmidt